WIRTSCHAFTSSPIEGEL Thüringen – Ausgabe 1/2022

Fachkräfte 47 www.jenawirtschaft.de/ueber_uns/presse_downloads/downloads/ gender Bedeutung. Die mit der Migration verbundenen Veränderungen in Stadt und Stadtteilen gilt es aktiv zu gestalten.“ Zuwanderung ist laut der städtischen Wirtschaftsförderung wichtig, weil die lokale Industrie langfristig nur weiter wachsen kann, wenn es gelingt, Menschen aus dem Ausland gut in die Arbeitswelt und den Alltag vor Ort zu integrieren. „Wir wissen, dass der Standort Jena mittel- und langfristig auf internationale Fachkräfte angewiesen sein wird, damit sich die Unternehmen weiterhin gut entwickeln und produktiv arbeiten können“, fasste JenaWirtschaftGeschäftsführer Wilfried Röpke die demografische Herausforderung zusammen. Die Untersuchung „Leben in Jena“ zeige dabei drei wesentliche Gründe, wieso internationale Arbeitnehmende nach Jena gekommen sind: 37 Prozent gaben „Bildung“ an, 18 Prozent „Erwerbstätigkeit“ und 16 Prozent die eigene Partnerschaft. „Uns hat darüber hinaus besonders interessiert, ob diese Menschen auch langfristig bleiben möchten, und warum“, so Röpke. Eine Frage, die die Studie mit einem klaren „Vielleicht“ beantwortet: 41 Prozent, also fast die Hälfte der Befragten, sind aktuell unsicher, ob sie auch zukünftig in Jena beziehungsweise Deutschland leben und arbeiten möchten. „Generell ist die Zufriedenheit vor Ort mit dem Lebensstandard, der Gesundheitsvorsorge, beim Wohnen und mit der Familie hoch“, erläuterte Thomas Ketzmerick vom Zentrum für Sozialforschung Halle. Ein kleinerer Teil der befragten Personen möchte Jena oder Deutschland mittelfristig wieder verlassen. Gründe dafür sind laut Ketzmerick vor allem schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Besonders für mitziehende Partnerinnen und Partner, die selbst ohne konkretes Jobangebot oder Arbeitsvertrag nach Jena kommen, sei es schwierig, im Beruf Fuß zu fassen. Sie arbeiten – sofern sie eine Anstellung finden – oft unterhalb ihres eigentlichen Qualifikationsniveaus. Entscheiden sich Menschen mit Migrationshintergrund aber, in Deutschland zu bleiben, so will der Großteil derer, die bereits in Jena leben, auch in der Stadt bleiben. Wichtig für die Integration vor Ort sind in erster Linie der Job und die daraus entstehenden Kontakte. Für die mitziehenden Familienangehörigen gestaltet sich das Ankommen oft schwieriger und sie sind laut Untersuchung daher auch unzufriedener mit der gesamten Lebenssituation. Auch die neue Sprache lernt sich schlechter. Anknüpfungspunkte für eine gelungene, gesellschaftliche Anbindung liegen jedoch im Bereich Bildung – beispielsweise über die Hochschulen oder einen Sprachkurs – oder über Kinder – beispielsweise über die Kindertagesstätte oder Schule. Wichtig sei es laut der Studie, dass die zahlreichen Unterstützungsangebote von Anfang an transparent kommuniziert und auffindbar sind, um die ersten Schritte vor Ort zu erleichtern. „Anlaufstellen, Sprachkurse, individuelle Hilfsangebote – es gibt in Jena eine umfangreiche Begleitung für Neuzuziehende“, so Ramona Scheiding, die bei der Wirtschaftsförderung den Bereich „Fachkräfteservice“ leitet. „Wir müssen sicherstellen, dass diese für internationale Menschen auch sichtbar sind. Ein positiver Einstieg vor Ort hilft, dass sich Menschen wohlfühlen und langfristig bleiben möchten.“ Das neue Welcome Center der Wirtschaftsförderung könne hier einen wichtigen Beitrag leisten, so Scheiding. Trotz der vielen Angebote ist das alltägliche Miteinander herausfordernd. Denn: Die Untersuchung zeigt, dass relativ viele Befragte bereits Diskriminierung im Alltag erlebt haben. Rund ein Drittel gab an, schon einmal, beispielsweise beim Einkaufen oder in Bus und Bahn, angepöbelt worden zu sein, besonders, wenn man sich in der eigenen Muttersprache unterhalten hat. Auch bei der Wohnungssuche werden Menschen mit Migrationshintergrund häufig diskriminiert; ein Punkt, der zu einer langfristigen Benachteiligung auf dem umkämpften Jenaer Wohnungsmarkt werden kann. Bürgermeister Christian Gerlitz will dieses Thema konkret angehen: „Wir werden bis 2030 mehr als 2.000 neue Wohnungen schaffen, um den Markt langfristig zu entlasten.“ Bezahlbarer Wohnraum helfe allen Bürgerinnen und Bürgern. Darüber hinaus wisse man auch, wie wichtig das soziale Umfeld bei der Ankunft in Jena ist. „Unser Ziel ist es, öffentlichen Raum so zu gestalten, dass er einladend und sicher für alle wirkt um soziale Begegnungsräume zu schaffen“, so Gerlitz. Eine allgemeine Handlungsempfehlung der Studie richten deren Macherinnen und Macher an die Stadt: Die Kommune muss sich weiterhin sichtbar für Weltoffenheit und Vielfalt einsetzen und gemeinsam mit den zahlreichen zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren gegen Ausgrenzung und Diskriminierung stellen. (em/tl) Viele Zugewanderte haben Diskriminierung im Alltag erlebt. „ „

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